Spelteriniplatz
Image : St.Galler Tagblatt
Endlich ist es wieder soweit. Der Jahrmarkt ist da: Zweimal im Jahr.
Einmal während der Herbst- und dann in den Osterferien. Da geht es heiss her auf dem Spelteriniplatz. Rösslikarusell, Schiffsgondel, Auto-Scouter- Geisterbahn, alle sind wieder da.
Natürlich auch die „ Dicke Berta“. Ich habe letztes Jahr schon nicht schlecht gestaunt, dass es so wuchtige Frauen geben kann. Sie war nicht nur dick, sondern auch noch riesig. Ihre Haut schneeweiss und voller kleiner Dellen. Sie trug einen bunten zweiteiligen Badeanzug, und eine rote Blume steckte keck in ihrem kurzen schwarzen Haar.
Der Bauch hing übermässig wampig über den unteren Teil der Badehose. Die schweren Brüste konnte das Oberteil nur mit Not zusammenhalten. Die Arme waren fast so dick und schwabelig wie ihre , mit Krampfadern überzogenen Beine. Diese waren stark gepudert, aber das Blau der strapazierten Venen schien trotzdem durch.. Die relativ kleinen Füsse wurden von roten Schlappen bedeckt. Meistens sass sie auf einem extra für sie angefertigten Holzstuhl Krampfhaft hielt Berta ein Mikrofon in der rechten Hand und bot ihre Fettpolster zur genaueren Besichtigung und zum Anfassen,hinter dem Samtvorhang an. Bitte treten sie ein. Für nur 50 Rappen zeige ich ihnen noch mehr, hinter dem Vorhang dürfen sie mich auch berühren. Mit offenem Mund blieb ich da immer wieder stehen . Mir fiel auf, dass vor allem kleine dünne Männer in diese Show liefen. Vorher immer einen kurzen Blick in die staunende Menschenmenge werfend, ob da nicht eventuell ein bekanntes Gesicht mitkriegen könnte, dass man so offen visuellen Gelüsten nachrennt.
Jetzt war es an der Zeit, den tanzenden Braunbär zu suchen. Er stand scheinbar mühelos auf seinen Hinterbeinen . Durch seine Nase war ein Ring gezogen, an diesem wiederum ein langes festes Seil befestigt. Sein Besitzer lief mit ihm im Kreis, in einer Hand das Seil in der anderen einen alten Hut, um Geld bettelnd.
Der Bär schnaufte immer sehr erleichtert, wenn er sich endlich wieder auf alle 4 Beine stellen konnte. Sein Fell war ruppig und glanzlos. Die Augen guckten müde und desinteressiert.
Da waren die als Mädchen oder Buben angezogenen Äffchen schon lustiger. Diese hüpften temperamentvoll umher, und sprangen gekonnt über kleine Hindernisse. Das Mädchen trug einen karrierten Schottenrock und den Kopf schmückte ein kleiner gelber Strohhut. Man hatte das Gefühl, dass diese Äffchen sehr viel Spass hatten, sich zur Schau zu stellen.
Nun plagte mich aber der Hunger und die Schiffsgondel wollte ich auch ausprobieren. Diesmal muss ich es bis oben an die Stange schaffen.
Nur was machen, wenn die 2 Franken, die mir mein Vater zusteckte, schon in türkischen Honig, zweimal Autoscouter und Magenbrot umgesetzt wurde?
Da kam Vreni und mir die Idee bei einem Stand zu fragen, ob wir verkaufen dürfen. Ich erinnere mich noch an einen älteren Mann mit einer lockigen dunkelbraunen Perücke auf dem Kopf. Er kam aus dem Appenzellerland und pries mit krächzender Stimme sein Haarwasser an. In kurzer Zeit konnte ich ihn überzeugen, dass ich besser schreien könne. Er willigte ein, und so habe ich während 2 Stunden das Wunderwasser laut angepriesen Ich suchte mir vor allem glatzköpfige Männer aus , lief ihnen nach, und siehe da, als der Inhaber des Standes wiederkam standen 10 Flaschen weniger im Regal. Voller Freude schenkte er mir 1 Franken und nun konnte ich das Projekt Schiffschaukel angehen, allerdings haben wir uns vorher rückversichert, dass wir beim nächsten Jahrmarkt wieder verkaufen dürfen. Dann allerdings wollten wir 3 bis 4 Stunden arbeiten, um den Franken zu verdoppeln.
Ich schaukelte und schaukelte. Irgendwie wollte es aber nicht gelingen, hoch mit dem Bug bis zur Stange. Da rief mir ein kräftiger Junge zu, dass er mir helfen würde. Und dann wurde mein Traum tatsächlich erfüllt. Hin und her, immer höher und höher. Ich hielt mich krampfhaft an der Mittelstange fest und konnte es kaum fassen. Fast hätten wir einen Überschlag gemacht. Ich war wie in Trance und wünschte das das schwebende Gefühl ewig anhält. Ich fühlte mich dem Himmel so nah. Alle Sorgen, vor allem die Schule betreffend fielen von mir ab. Meine Seele jubelte , und glückseelig verliessen Vreni und ich dann Arm in Arm den Spelteriniplatz und machten uns auf den Heimweg. Für ein paar Stunden tauchten wir so zweimal im Jahr ab, in eine andere zauberhafte Welt.